Die Kraft der Ernährung (Teil 3): Die Blue Zones – Wie Sie ein längeres und gesünderes Leben führen

Die sogenannten Blue Zones (“Blaue Zonen”) sind Regionen der Welt, deren Bewohner deutlich länger und gesünder als der Durchschnitt leben. Sie leiden nur an einem Bruchteil der Krankheiten, die eine große Last für Menschen in anderen Teilen der entwickelten Welt darstellen (1). Bisher wurden fünf geographische Bereiche identifiziert, in denen die Menschen statistisch gesehen am längsten leben:

1. Die Insel Okinawa, Japan: Die Einwohner*innen Okinawas bekommen weniger häufig Krebs, Herzkrankheiten und Demenz als Amerikaner*innen und die Frauen leben länger als alle anderen Frauen des Planeten. Zudem treten weniger Infektionskrankheiten bei der älteren Generation auf (2)(3).

2. Loma Linda, Kalifornien: Wissenschaftler*innen haben eine Gruppe Siebenter-Tags-Adventisten untersucht, die zu den langlebigsten Menschen Nordamerikas zählen (4).

3. Sardinien, Italien (insbesondere Ogliastra, Barbagia Ollolai und Barbagia Seulo): In den Bergdörfern Sardiniens erreicht ein beachtlicher Anteil der Männer das 100. Lebensjahr, insbesondere in einem Dorf namens Seulo, das den Rekord mit 20 Hundertjährigen zwischen 1996 und 2016 hält (5).

4. Halbinsel Nicoya, Costa Rica: Wissenschaftler*innen haben ausgerechnet, dass die Wahrscheinlichkeit 100 Jahre alt zu werden für einen 60-jährigen Mann aus Nicoya 4,8% beträgt, was sogar doppelt so hoch ist wie die Wahrscheinlichkeit für Okinawa, den Zweitplazierten in dieser Rangliste, und fast siebenfach höher als für Sardinien und Japan (6). Zur Zeit untersucht ein Wissenschaftsteam den Zusammenhang zwischen Lebensstil und dem hohen Alter der Bewohner*innen.

5. Ikaria, Griechenland: Eine Studie auf Ikaria vom April 2009 hat gezeigt, dass die Insel der Ort mit dem höchsten Anteil 90-Jähriger der Welt ist. Fast einer von drei Personen erreichte ein Alter von 90 Jahren und älter. Zudem haben sie etwa 20% geringere Krebsraten, 50% niedrigere Raten an Herzkrankheiten und nahezu keine Demenz (7).

Basierend auf empirischen Daten sowie direkten Beobachtungen vor Ort gibt es mehrere Erklärungsansätze, warum Menschen in den Blue Zones so lange und so gesund leben. Mehr als alles andere scheinen Ernährung und andere Lebensstilfaktoren sowie bestimmte soziale Strukturen einen großen Einfluss auf die Gesundheit zu haben.

Was genau macht aber die Ernährung aus, die möglicherweise zu diesem gesunden Altern beiträgt?
Sehen wir uns das genauer an!

Ernährungsgewohnheiten der Menschen in den Blue Zones

Okinawa, Japan
Auf Okinawa, der „Insel der Hundertjährigen“ im Süden Japans wurden die folgenden Faktoren von den Wissenschaftler*innen gefunden:
Die traditionelle Ernährung der Okinawaner*innen ist überwiegend pflanzlich mit geringem Energie-, Fett- und Natriumgehalt sowie einem relativ geringem Proteinanteil, jedoch reich an Mikronährstoffen und komplexen Kohlenhydraten. Knapp 60 Prozent der Gesamtenergie stammt aus Gemüse, insbesondere aus Süßkartoffeln (reich an Carotinoiden, sekundären Pflanzenstoffen und Antioxidantien), grünem Blattgemüse und anderen Gemüsesorten. Die Okinawaner*innen leben nach dem Prinzip „Iss nur, bis du zu 80% satt bist“ (8). Das bedeutet nicht, dass die Bewohner*innen hunger, sondern dass sie Mahlzeiten mit einer geringen Energiedichte zu sich nehmen. Dies ist als Kalorienrestriktion bekannt und wird für eine Verlangsamung des Alterungsprozesses und Erhöhung der Langlebigkeit verantwortlich gemacht. Dieses Verhalten könnte auch vor Adipositas und ernährungsmitbedingten Erkrankungen in Okinawa schützen (2)(8)(9). Eine hohe Zufuhr von Antioxidantien zusammen mit einer Kalorienrestriktion (verringerte Energiezufuhr) ist mutmaßlich für eine verringerte Zahl freier Radikale im Blut verantwortlich (10)(11). Zudem verzehren die Bewohner*innen Okinawas im Rahmen ihrer traditionellen Ernährung medizinische Kräuter und viele Gewürze wie z.B. Kurkuma, Inger und Beifuß.

Loma Linda, Kalifornien, USA
Eine weitere Blue Zone ist Loma Linda in Kalifornien. Die Siebenten-Tags-Adventisten, eine dort lebende religiöse Gemeinschaft, haben eine der höchsten Lebenserwartungen weltweit. Die Gemeinschaft ist bekannt für ihre Gesundheitsbotschaft, die zu einem vegetarischen Lebensstil empfiehlt und vom Konsum alkoholischer Getränke sowie von Tabak und anderen Drogen abrät. Zusätzlich vermeiden manche Adventisten auch den Konsum koffeinhaltiger Getränke. Diese Besonderheiten veranlassten Wissenschaftler*innen zu Untersuchungen an den Siebenten-Tags-Adventisten im Rahmen der Adventist Health Study I und II.
In diesen Studien konnten folgende Faktoren als lebensverlängernd identifiziert werden: eine vegetarische Ernährung, der regelmäßige Konsum von Nüssen, die Vermeidung von Adipositas, regelmäßige Bewegung und Nicht-Rauchen (12).
Eine genauere Betrachtung der Ernährung in den Adventist Health Studies hat gezeigt, dass Ovo-Lacto-Vegetarier*innen und Veganer*innen ein statistisch signifikant geringeres allgemeines Sterblichkeitsrisiko bei beiden Geschlechtern (13) und vegane oder vegetarische Männer hatten eine geringere kardiovaskuläre Sterblichkeit (4)(12).
Der Blutdruck und das Risiko für einen hohen Blutdruck sind ebenfalls signifikant geringer unter den veganen im Vergleich zu den mischköstlichen Adventist*innen (13)(14).
Weiterhin zeigten Veganer*innen ein 60% geringeres Risiko für Typ 2 Diabetes mellitus (13)(15) und etwa 16% weniger Risiko für Krebserkrankungen als Mischköstler*innen (16). Entzündungsmarker (C-reaktives Protein) waren niedriger bei Vegetarier*innen als bei Mischköstler*innen und vegane Männer zeigten ein ca. 35% geringeres Risiko für Prostatakrebs (18).
Die Adventisten essen ähnlich wie Japaner*innen, Chines*innen, und Okinawaner*innen relativ viel Sojaprodukte, was durch den Gehalt an Isoflavonen möglichweise eine Ursache für das geringe Risiko für Brustkrebs, Prostatakrebs und kardiovaskuläre Erkrankungen in diesen Bevölkerungsgruppen ist (2).

Sardinien, Italien
Auf Sardinien, insbesondere in den Bergdörfern, erreicht ein bemerkenswerter Teil der Bevölkerung ein Alter von 80 Jahren und älter. Eine überwiegend pflanzliche Ernährung, tägliche körperliche Aktivität (traditionell arbeiten viele Männer als Schäfer) und ein enger familiärer Zusammenhalthaben in dieser Blue Zone wohl zur höchsten Dichte an männlichen Hundertjährigen weltweit beigetragen. Auch heute noch folgt ein großer Teil der Bewohner*innen dieser Region der traditionellen Ernährung, die auf Getreide- und Milchprodukten basiert (20). Ältere Menschen aus dieser Blue Zone berichten zudem von geringen depressiven Symptomen und einem hohen Maß an mentalem Wohlbefinden, was großenteils ihrer hohen Resilienz und ihren starken sozialen Bindungen zugeschrieben wird (21).

Halbinsel Nicoya, Costa Rica
Auf der Halbinsel Nicoya wird weltweit die wohl geringste Menge an verarbeiteten Nahrungsmitteln konsumiert. Die Nicoyaner*innen führen traditionell ihre Nahrungskalorien hauptsächlich in Form von Bohnen, Reis, Kürbis, Mais und tropischen Früchten zu. Somit handelt es sich um eine pflanzenbasierte Ernährungsweise mit hoher Nährstoffdichte, niedrigem glykämischen Index und hohem Ballaststoffanteil, was zu ihrer hohen Lebenserwartung und der hohen Anzahl an Lebensjahren in Gesundheit beitragen könnte. Die Nicoyaner*innen verbringen die meiste Zeit im Freien und folgen einer spirituellen Lebensweise, die möglicherweise ihre gute psychische Gesundheit auch nach dem 90. Lebensjahr fördert. Weiterhin weisen die Nicoyaner*innen niedrige Biomarker für kardiovaskuläres Risiko auf und insbesondere bei den Männern ist die höhere Lebenserwartung auf eine niedrigere kardiovaskuläre Mortalität zurückzuführen.Zudem sind sie schlanker, größer und leiden unter weniger Einschränkungen. Die Telomerlänge und Dehydroepiandrosteron, zwei Marker für Alterung und Stress, wiesen günstigere Werte auf (6).

Ikaria, Griechenland
Der Anteil an über 90-jährigen Menschen ist hier deutlich höher als der europäische Durchschnitt. Die Mehrheit der ältesten Studienteilnehmer*innen berichtete von gesunden Ernährungsgewohnheiten, täglicher körperlicher Bewegung, Vermeidung von Rauchen, häufigen Sozialkontakten, täglichen „Nickerchen“ und einer niedrigen Rate an Depression und Demenz. Der größte Teil der Bevölkerung folgt einem traditionellen Lebensstil und einer traditionellen Ernährung mit vorwiegend pflanzlichen Lebensmitteln und den Prinzipien der mediterranen Kost mit reichlich Obst, Gemüse, Bohnen, Vollkorn, Kartoffeln und Olivenöl. Es scheint, dass die Verwestlichung und moderne Lebensmittel die lebenslangen Gewohnheiten der Ikarier*innen nicht beeinflusst haben (7).

Gibt es eine “Blue Zones-Diät”?

Die Studienergebnisse aus den Blue Zones legen nahe, dass ein Zusammenspiel von Umweltfaktoren, Verhaltensweisen und klinischen Merkmalen die Langlebigkeit der Bewohner*innen bedingt. Der vielversprechendste und am einfachsten zu beeinflussende Faktor scheint jedoch die Ernährungsweise zu sein.

Betrachtet man die Ernährungsgewohnheiten der Menschen in den Blue Zones, lassen sich einige grundlegende Prinzipien ableiten, die recht einfach und gut umsetzbar erscheinen.

Das herausragende Merkmal der Essgewohnheiten in den Blue Zones ist eine Ernährung, die auf pflanzlichen Lebensmitteln basiert. Die Bewohner der Blue Zones essen üblicherweise eine große Bandbreite an saisonalen und/oder fermentierten Gemüsesorten und Früchten, Vollkorngetreide und Hülsenfrüchten. Fette und Öle, insbesondere Olivenöl, sind überwiegend pflanzlicher Herkunft.

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist, dass die meisten verzehrten Nahrungsmittel komplett unverarbeitet sind, was bedeutet, dass nahezu nichts aus den Lebensmitteln entfernt oder ihnen hinzugefügt wird. Ein Beispiel ist die Verwendung ganzer Getreidekörner zur Herstellung von Sauerteigbrot.

Fleisch wird in vier der fünf Blue Zones gegessen, allerdings liegt der durchschnittliche Verzehr bei unter 60 Gramm fünfmal pro Monat (1).
Auch Fisch wird in kleinen Mengen konsumiert, bis zu drei Portionen pro Woche. Wenn die Blue Zones-Bewohner*innen Milchprodukte verzehren, dann hauptsächlich als fermentierte Schafs- oder Ziegenmilchprodukte.

Zusammengefasst: Eine Ernährungsweise reich an vollwertigen, pflanzlichen Lebensmitteln mit wenig oder gar keinen tierischen Produkten ist die wohl beste Möglichkeit, ein gesundes und langes Leben zu fördern. Die Menschen der Blue Zones zeigen uns, wie es geht!

Dieser Artikel ist Teil der Serie: „Die Kraft der Ernährung“.

Fruits in a glass

HIDE
Quellenangaben

(1) Buettner, D. (2009) The Blue Zones: Lessons for Living Longer From the People Who’ve Lived the Longest (First Paperback ed.). Washington, D.C.: National Geographic. p. vii. ISBN 978-1-4262-0400-5. OCLC 246886564.

(2) Willcox, B.J., Willcox, D.C., Todoriki, H., Fujiyoshi, A., Yano, K., He, Q., Curb, J.D., and Suzuki, M. (2007). Caloric Restriction, the Traditional Okinawan Diet, and Healthy Aging: The Diet of the World’s Longest-Lived People and Its Potential Impact on Morbidity and Life Span. Annals of the New York Academy of Sciences 1114, 434–455.

(3) Willcox, D.C., Scapagnini, G., and Willcox, B.J. (2014). Healthy aging diets other than the Mediterranean: A focus on the Okinawan diet. Mechanisms of Ageing and Development 136–137, 148–162.

(4) Orlich MJ, Singh PN, Sabaté J, et al. Vegetarian Dietary Patterns and Mortality in Adventist Health Study 2. JAMA internal medicine. 2013;173(13):1230-1238. doi:10.1001/jamainternmed.2013.6473.

(5) Poulain M.; Pes G.M.; Grasland C.; Carru C.; Ferucci L.; Baggio G.; Franceschi C.; Deiana L. (2004). „Identification of a Geographic Area Characterized by Extreme Longevity in the Sardinia Island: the AKEA study“. Experimental Gerontology. 39 (9): 1423–1429. doi:10.1016/j.exger.2004.06.016. PMID 15489066.

(6) Rosero-Bixby L, Dow WH, Rehkopf DH (2013):The Nicoya region of Costa Rica: a high longevity island for elderly males.Vienna Yearb Popul Res. 11:109-136.

(7) Panagiotakos DB, Chrysohoou C, Siasos G, et al. (2011): Sociodemographic and Lifestyle Statistics of Oldest Old People (>80 Years) Living in Ikaria Island: The Ikaria Study. Cardiology Research and Practice. 2011;2011:679187. doi:10.4061/2011/679187.

(8) Imai, S. (2009). SIRT1 and Caloric Restriction: An Insight Into Possible Trade- Offs Between Robustness and Frailty. Curr Opin Clin Nutr Metab Care 12, 350– 356.

(9) Gavrilova, N.S., and Gavrilov, L.A. (2012). Comments on Dietary Restriction, Okinawa Diet and Longevity. Gerontology 58, 221–223.

(10) Ungvari Z, Parrado-Fernandez C, Csiszar A, de Cabo R. Mechanisms underlying caloric restriction and life span regulation: implications for vascular aging. Circ Res. 2008;102(5):519-528. doi:10.1161/CIRCRESAHA.107.168369

(11) Fang Y-Z, Yang S, Wu G. Free radicals, antioxidants, and nutrition. Nutrition. 2002;18(10):872-879.

(12) Fraser, G.E., and Shavlik, D.J. (2001). Ten years of life: Is it a matter of choice? Arch. Intern. Med. 161, 1645–1652.

(13) Orlich MJ, Jaceldo-Siegl K, Sabaté J, Fan J, Singh PN, Fraser GE. Patterns of food consumption among vegetarians and non-vegetarians. Br J Nutr. 2014;112(10):1644-1653. doi:10.1017/S000711451400261X

(14) Pettersen, B.J., Anousheh, R., Fan, J., Jaceldo-Siegl, K., and Fraser, G.E. (2012). Vegetarian diets and blood pressure among white subjects: results from the Adventist Health Study-2 (AHS-2). Public Health Nutr 15, 1909– 1916.

(15) Tonstad, S., Stewart, K., Oda, K., Batech, M., Herring, R.P., and Fraser, G.E. (2013). Vegetarian diets and incidence of diabetes in the Adventist Health Study-2. Nutr Metab Cardiovasc Dis 23, 292–299.

(16) Tantamango-Bartley, Y., Jaceldo-Siegl, K., Fan, J., and Fraser, G. (2013). Vegetarian diets and the incidence of cancer in a low-risk population. Cancer Epidemiol. Biomarkers Prev. 22, 286–294.

(17) Paalani, M., Lee, J.W., Haddad, E., and Tonstad, S. (2011). Determinants of Inflammatory Markers in a Bi-ethnic Population. Ethn Dis 21, 142–149.

(18) Tantamango-Bartley, Y., Knutsen, S.F., Knutsen, R., Jacobsen, B.K., Fan, J., Beeson, W.L., Sabate, J., Hadley, D., Jaceldo-Siegl, K., Penniecook, J., et al. (2016). Are strict vegetarians protected against prostate cancer?. Am J Clin Nutr 103, 153–160.

(19) Segovia-Siapco, G., Pribis, P., Messina, M., Oda, K., and Sabaté, J. (2014). Is soy intake related to age at onset of menarche? A cross-sectional study among adolescents with a wide range of soy food consumption. Nutr J 13, 54.

(20) Pes GM, Tolu F, Dore MP, Sechi GP, Errigo A, Canelada A, Poulain M. (2015): Male longevity in Sardinia, a review of historical sources supporting a causal link with dietary factors European Journal of Clinical Nutrition 69, 411–418

(21) Fastame MC, Hitchcott PK, Mulas I, Ruiu M, Penna MP (2018): Resilience in Elders of the Sardinian Blue Zone: An Explorative Study. Behav Sci. 8(3): 30.